Nein, es ist kein grosses Spiel der Zuger. Ihre offensive Feuerkraft ist in defensiven Schablonen gefangen. Das Spiel gut organisiert, schön brav und ein bisschen langweilig. Hockey mit bemerkenswerter Disziplin und Geduld, mehr gearbeitet als gespielt. Spektakel und Kreativität? Für später.
Trainer Michael Liniger ist zufrieden. Er räumt zwar ein, dass seine Mannschaft im Startdrittel eine Spur zu verhalten, zu passiv war. Aber dann habe man die Balance gefunden. 3:0. Die perfekte Taktik. Das perfekte Resultat. Der perfekte Start. Wichtig für ein Team, das die letzte Saison mit einem kläglichen Ausscheiden im Viertelfinal beendet hat und nun zurück an die Spitze will.
Wobei: Taktik ist ein grosses Wort. Zug verdankt seinen Sieg eigentlich dem «System Genoni». Einem Torhüter, der im August 38 geworden ist und in einem goldenen Karriere-Herbst sein bestes Hockey zelebriert. Die unerschütterliche Ruhe, die er ausstrahlt, die bestechende Sicherheit bei allen Aktionen – Weltklasse. Und er war ja bei der letzten WM der beste Torhüter des Turniers plus der MVP.
Michael Liniger rühmt seinen Goalie:
Diese Energie habe man von der ersten Aktion an sofort gespürt. So war es: Von der ersten Sekunde an ist klar: Leonardo Genoni hat mit einer schon fast arroganten Selbstverständlichkeit entschieden, heute keinen Treffer zuzulassen. Er ist der einzige Goalie der Liga, der an einem guten Abend diese zwingende Ausstrahlung hat, die jeden seiner Vordermänner ein bisschen grösser, mutiger, selbstsicherer, schneller und besser macht.
Lange nach Spielschluss plaudert Leonardo Genoni entspannt, nicht nur über dieses Spiel. Er weiss, dass er gut gespielt hat. Mit seiner immensen Erfahrung kann er seine Leistung einschätzen und er sagt:
Es ist das «System Genoni». Besser als jede Taktik. Es geht um mehr als um dieses erste Spiel der Saison, das ja letztlich «nur» eine Momentaufnahme ist und morgen schon vergessen sein wird. Leonardo Genoni hat das schmähliche Ende der letzten Saison, das Ausscheiden gegen Davos in nur vier Spielen, im Stolz verletzt.
Es ist zu spüren: Leonardo Genoni ist auf einer Mission. Zug wieder ganz an die Spitze zurückzuführen, die letzte Saison vergessen zu machen – das ist die Mission, die weit, weit über das Startspiel hinausgeht. Schon am Freitag wird sie dem nächsten Stresstest unterzogen: Zug tritt in Lugano an. Dort ist die gesamte Organisation wieder einmal auf der Mission «Rendere nuovamente grande il Lugano» («Make Lugano great again»).
Die Bedeutung eines charismatischen Torhüters kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nicht umsonst pflegte einst der grosse kanadische Coach und Hockeyphilosoph Dave King seine Vorträge mit einer launigen Bemerkung abzuschliessen: «… und wenn Sie keinen grossen Torhüter haben, dann vergessen Sie alles, was Sie heute gehört haben.»
Womit wir beim SCB sind. Ja, der SCB ist Zug auf Augenhöhe entgegengetreten und hat sogar alle drei Drittel mit 26:19 (11:8, 8:5, 7:6) Torschüssen dominiert. Aber der SCB hat keinen Leonardo Genoni. Er hat Adam Reideborn. Er ist ein guter, aber kein grosser Goalie. Ihm fehlen Sicherheit, Ausstrahlung und Charisma eines grossen Goalies.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Aber da ist noch etwas: Eishockey ist ein unberechenbares Spiel. Erfolg ist auf Dauer nur möglich, wenn wenigstens mit Sorgfalt die kleinen Dinge richtig gemacht werden, die kontrolliert werden können. Dafür gibt es ein Wort: Professionalität. Der SCB löhnt schon beim Saisonauftakt acht (!) ausländische Spieler. Aber beim Saisonstart konnte Trainer Jussi Tapola in Zug nur fünf einsetzen. Ein weiterer ausländischer Stürmer hätte womöglich aus der optischen Überlegenheit etwas Zählbares herausgeholt.
Pech? Nein. Fehlende Professionalität. Der Arroganz geschuldet, so wichtig sei ja das mit den Ausländern beim Saisonstart gar nicht. Die Berner haben mit Emil Bemström schon vor der Saison einen ausländischen Stürmer verpflichtet, von dem sie von allem Anfang an wussten, dass er erst im Laufe des Oktobers fit sein wird.
Und noch etwas: Jussi Tapola mag Verteidiger, die verlässlich im System arbeiten. Der Schillerfalter Alexandr Yakovenko spielte die Rolle des tragischen Helden: Am ersten Gegentreffer war er mitschuldig und er hat das Powerplay auf dem Gewissen, das Zug das bereits entscheidende 2:0 ermöglichte. Bald wird intern die Diskussion losgehen, wer eigentlich diesen Transfer zu verantworten habe. Und kein hinterlistiger Schelm, wer das Gerücht streut, man werde bald darüber nachdenken, ob man denn Alexandr Yakovenko nicht bei Langnau gegen Santtu Kinnunen eintauschen könnte.
Der SCB hat in Zug vieles richtig gemacht. Ohne den Rückhalt von Leonardo Genoni wären die Zuger ins Wanken geraten. Ein auswärts verlorenes Startspiel ist noch kein Grund zur Polemik. Aber ein Grund, endlich, endlich, endlich mit der «Mission Wiedergutmachung» zu beginnen.
Das ist halt nicht ganz einfach mit vier Goalies, die zusammengezählt nicht einen Leonardo Genoni geben.